Winfried Mall

Diplom-Heilpädagoge (FH)

Sexualität

bei Menschen mit geistiger Behinderung

Alle Menschen sind sexuelle Wesen, und die Sexualität ist eine der starken Kräfte, die menschliches Handeln bestimmen. Das ist auch bei Menschen mit geistiger Behinderung nicht anders. Und doch gibt es wichtige Aspekte, die das Thema bei ihnen auf spezielle Weise prägen:

  • Körperliche, emotionale und intellektuelle Entwicklung verlaufen noch weniger parallel als bei den meisten Menschen. Dies wirkt sich vor allem auf die Fähigkeit aus, die Folgen des eigenen Handelns sowie das innere Erleben einer Partner:in in der Vorstellung vorwegzunehmen. Die Stigmatisierung als "behindert" untergräbt die Entwicklung von Selbstakzeptanz und Selbstvertrauen. Hartnäckige Vorurteile bezüglich einer behinderungsbedingten "Triebhaftigkeit" erschweren es, der eigenständigen Entwicklung von Sexualität Raum zu geben.
  • Parallel zur sexuellen Reifung erfolgt meist nicht die Loslösung von der Herkunftsfamilie und zunehmende - auch materielle - Selbstbestimmung. Statt dessen bleibt die Abhängigkeit von der Herkunftsfamilie erhalten oder wird durch die ebenfalls fremdbestimmte Umgebung einer Einrichtung abgelöst. Selbst die Freizeitgestaltung wird von andern "organisiert". Die fortdauernde, als notwendig erlebte Abhängigkeit von Eltern oder Mitarbeiter:innen behindert eine freie Entfaltung von Sexualität und Beziehungsleben. Selbstbestimmung wird "eingetauscht" gegen Sicherheit.
  • Die Chancen, auf dem Beziehungs- "Markt" eine Partner.in zu finden, sind bei der in unserer Gesellschaft vorherrschenden Überwertigkeit von Jugend, Schönheit und Intelligenz äusserst gering. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten sehr beschränkt, in den eigenen Lebensräumen - Elternhaus, Wohngruppe, Werkstatt, organisierte Freizeitangebote - eine ebenbürtige Partner:in zu finden. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, "abweichende" Formen sexueller Aktivität zu entwickeln.
  • All diese Umstände erhöhen die Gefährdung, selbst zum Opfer sexualisierter Gewalt zu werden oder in den Verdacht abweichenden Sexualverhaltens zu geraten.

Damit auch Menschen mit geistiger Behinderung das Menschenrecht auf sexuelle Selbstbestimmung verwirklichen können, benötigen sie eine vorurteilsfreie, behutsame und individualisierte Begleitung. Vor allem muss ihnen in allen Bereichen ermöglicht werden, ihr Leben selbst zu bestimmen, ohne dass dies den Schutz und die Sicherheit in Frage stellt, auf die sie sich angewiesen erleben.

Das Verständniskonzept "Sensomotorische Lebensweisen" bietet einen entwicklungspsychologischen Hintergrund, um auch sexuelles Verhalten in Zusammenhang mit Aspekten der Persönlichkeitsentwicklung zu sehen.


zum Umgang mit Körperkontakt - Vorbeugung von sexuellem Missbrauch

Sensomotorische Lebensweisen und Sexualität - Präsentation


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